Geschichte

„Die Kranken werden geschlachtet, die Welt wird gesund“

Diese Zeilen aus dem Gedicht „Die Maßnahmen“ von Erich Fried kennzeichnen uralte Denkstrukturen, die häufig den Umgang mit behinderten Menschen bestimmen. So hat die Unterscheidung in vermeintlich mehr oder weniger lebenswertes Leben Tradition: Im antiken Griechenland und in Rom wurden behinderte Kinder kurzerhand umgebracht. Selbst der Reformator Martin Luther konnte sich dem Zeitgeist nicht entziehen und sprach sich in einer seiner Tischreden für den Mord behinderter Säuglinge aus.

Zur Zeit des Naziterrors erreichte der Wahn, Behinderung und Krankheit auszurotten mit etwa 200.000 bis 300.000 Morden an behinderten Menschen und schätzungsweise 400.000 Zwangssterilisationen seinen grausamen Höhepunkt. Nach Kriegsende 1945 endete zwar das Töten behinderter Menschen weitgehend. Aber an der Einschätzung, es handele sich um zumindest minderwertiges Leben änderte sich zunächst nicht viel. Die Fremdbestimmung behinderter Menschen fand in Institutionen ihre Fortsetzung. Erst die Behindertenrechtsbewegung, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre in Westdeutschland entstand und Menschenrechtsverletzungen an behinderten Menschen im Sozialstaat anprangerte, führte allmählich zu einem Perspektivwechsel.

Auf dem Weg zur rechtlichen Gleichstellung

Einen Meilenstein auf dem Weg zur rechtlichen Gleichstellung stellte der letztlich erfolgreiche Kampf um die Grundgesetzergänzung von 1994 um den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ dar. Auch das Behindertengleichstellungsgesetz – BGG von 2002 und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG von 2006 atmen den Geist Gleichstellung. Mit dem Inkrafttreten des „Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten Nationen (UN-Behindertenrechtskonvention – UN-BRK) am 26. März 2009 bekannte sich Deutschland zu Achtung, Schutz und Gewährleistung aller Menschenrechte behinderter Menschen. Die UN-BRK hat in etwa den Rang eines Bundesgesetzes.

Deutschland hat die UN-BRK bislang nur sehr unzureichend umgesetzt, was auch der UN-Fachausschuss bei der letzten Staatenprüfung Deutschland 2023 feststellte. Gleichzeitig hetzen Rechtspopulist*innen gegen die Inklusion behinderter Menschen, rechte Schlägertrupps bedrohen behinderte Bürger*innen und mühsam erkämpfte Fortschritte werden in Frage gestellt.

Weitere Infos zur Geschichte: 50 behindertenbewegte Jahre in Deutschland | Menschen mit Behinderungen | bpb.de (Artikel von Swantje Köbsell in der Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung)

(si)